Verfasst: 27.02.2006, 15:12
von Joe B.
Die Episode ist in zwei Haupthandlungsstränge eingeteilt. Zum einen werden die dramatischen Geschehnisse im Hause Leery auf die Spitze getrieben, zum anderen wird der eher heitere Plot um Pacey und Tamara fortgeführt. Der Hurricane, der Capeside heimsucht, erzeugt die Notwendigkeit, dass sich die Figuren in ein begrenztes Umfeld zurückziehen müssen. Die eigenen vier Wände als vermeintlicher Schutz vor den Naturgewalten, die draußen toben, können die Personen aber nicht vor ihren menschlichen Unzulänglichkeiten bewahren. Einige der besten Episoden von DC spielen sich auf engstem Raume ab. Denn diese isolierte Situation, wenn die Protagonisten eng aufeinanderhocken und nicht raus können, schafft eine intime, kammerspielartige Bühne, in der sich das emotionale Klima zunehmend auflädt und die verdrängten inneren Konflikte umso stärker ausbrechen. Dementsprechend steht der Hurricane als äußerliches Sinnbild für den „inneren Sturm“.
In der ersten Einstellung der PreTitle-Sequenz sehen wir, wie der durchs Fenster hereinwehende Wind das Spielberg-Bild umwirft und die Dinosaurierfigur unter sich begräbt. Damit wird auf Dawsons individuelle Sicht der Welt verwiesen: Eine höhere Instanz (der Sturm) sorgt dafür, dass die Basis der Filmemacher (also Dawson) ins Wanken gerät und ihre künstlichen Schöpfungen (Dawsons idealisierte Lebens-Szenarien) unter sich begräbt (nebenbei bemerkt: die Dreharbeiten von Spielbergs JURASSIC PARK auf Hawaii wurden ebenfalls durch einen Tropensturm in Mitleidenschaft gezogen). Soll heißen: Dawson, halt dich fest, du kannst die Welt nicht nach deinen eigenen Vorstellungen gestalten – es wird immer etwas Unvorhersehbares geben, dass dich bis ins Mark erschüttert! Joeys letzter Satz in der Eröffnungssequenz verleiht dem noch einmal Nachdruck: „Schnall dich lieber an. Das Leben wird noch viel holpriger.“ Passenderweise haben sich Joey und Dawson zu einer Katastrophenfilmnacht eingefunden. TWISTER, der Sturm-Film par excellence ist vorüber und leitet die Diskussion ein, ob man nun FLAMMENDES INFERNO („…gibt’s mehr Topstars als Leichen“) oder DIE HÖLLENFAHRT DER POSEIDON („…gibt’s viel interessantere Todesarten. Außerdem steht alles auf dem Kopf“) anschauen soll. Ganz klar: die nun folgende Episode DC wird sich von der Dramaturgie am Genre der Katastrophenfilme orientieren. Auch in weiteren Staffeln wird dieses Genre noch gerne aufgegriffen werden. Nachdem sich Joey und Dawson über den Schulausfall gefreut haben, wird zum Gale-Plot übergeleitet. Dawson ist wütend, frustriert, verbittert. Seine untreue Mutter hat ihn in vielerlei Hinsicht desillusioniert. An dieser Stelle setzt auf der Musikebene zum ersten Mal „Healing Hands“ von Marc Cohn ein (was übrigens auch in EMERGENCY ROOM zu hören war). Joey bemüht sich um Verständnis für ihren Freund, doch dieser will sich jetzt noch nicht mit der Problematik auseinandersetzen, sondern nach guter alter Dawson-Manier lieber abwarten: „Alles ist aufgeschoben. Wegen des Hurricanes. Inclusive meines Lebens.“
Nach dem Vorspann sehen wir Stimmungsbilder, in denen die Windmaschinen richtig schön Wirbel machen. Die Vorbereitungen, die in Capeside wegen des nahenden Hurricanes Chris getroffen werden, werden musikalisch von dem frühen REM-Klassiker „It´s the end of the world as we know it“ untermalt. Damit wird – wie so oft in DC – den 80ern Referenz erwiesen. Außerdem wurde der Song schon öfters in Katastrophenfilmen eingesetzt (z.B. in INDEPENDENCE DAY). Auch im Hause Leery bereitet man sich auf das Unwetter vor. Gale beschwert sich, da sie vom Sender nicht den Auftrag bekommen hat, über den Hurricane zu berichten. Die Kritik von der Feministinnen-Front ist die erste Aussage in DC, die ein politisches Thema berührt. Auch wenn die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsplatz nicht weiter behandelt wird, in dieser Folge werden noch weitere politische Fragen thematisiert. Für Dawson bietet sich nun die Gelegenheit, seiner Mutter eine subtile Standpauke zu halten. Oder sie zumindest spüren zu lassen, dass er über ihre Seitensprünge Bescheid weiß. Wie in der letzten Folge wird auch hier die Parallele zwischen Mitch und Harrison Ford gezogen: „Mein Vater ist schon ein guter Typ. Vielleicht sehr idealistisch wie die Rollen von Tom Hanks oder Harrison Ford. Aber grundsolide…und er ist treu.“ Der hervorragende Dialog, der Dawson anschließend in den Mund gelegt wurde, konfrontiert Gale mit ihrer Schuld. Sie erkennt durch Dawsons absichtliche Verwechslung des Namens Chris und Bob, dass ihr Sohn ihr untreues Spiel durchschaut hat. Der Countdown für den Eklat um Gales Untreue, der seit vier Folgen vorbereitet wurde, tickt unaufhörlich auf den großen Knall zu.
Schnitt. Wir sehen Pacey und seinen älteren Bruder Doug am Strand. Doug muss in seiner Funktion als Deputy für öffentliche Sicherheitsmaßnahmen sorgen und das Schwimmen durch Schilder verbieten. Hier wird die erste Parallele zu DER WEISSE HAI gezogen, der uns in dieser Folge noch öfter begegnen wird. Auch im Spielberg-Hit ließ Chief Brody die Strände wegen der drohenden Gefahr sperren. Pacey wurde von seinem Dad, der Chief der Polizei von Capeside ist, dazu verdonnert, seinem Bruder zu helfen. Doug, der im Gegensatz zum schwarzen Schaf Pacey als Mustersohn durchgeht, macht nach außen hin einen korrekten Eindruck. Doch innerlich ist auch Doug eine gebrochene Figur. Pacey feuert aus allen Rohren auf den verwundbaren Punkt seines Bruders: „Doug, du musst endlich lernen, diese feindseligen Aggressionsausbrüche abzubauen. Jeder Psychotherapeut wird dir sagen, dass das eine reine Verdrängungstaktik gegen deine latente Homosexualität ist.“ Nach Mr. Gold wird mit Doug nun die zweite schwule Figur etabliert. Pacey drängt seinen Bruder, nachdem er sich über einige Schwulenklischees, wie z.B. die CD-Sammlung mit Barbra Streisand-Songs oder das Village-People-Outfit, lustig gemacht hat, sich endlich zu seiner wahren sexuellen Orientierung zu bekennen und sich zu outen. Doch Doug ist längst nicht soweit. Ganz im Gegenteil. Er will nach außen hin als heterosexuell wahrgenommen werden. Was hauptsächlich soziopolitisch motiviert ist. Doug hat offensichtlich Angst davor, wie die Gesellschaft reagieren würde, wenn sich plötzlich ein Musterbeispiel von Polizeibeamter zu seinem Schwulsein bekennen würde. Auch in den späten 90ern in den USA ein heikles Thema. Pacey lässt nicht locker, worauf Doug zu einem ersten Gewaltausbruch neigt, indem er ihm beim Schlaffitchen packt. Da Kevin Williamson als Co-Autor dieser Folge aufgeführt wird, kann man natürlich spekulieren, dass er eigene Erfahrungen bezüglich seiner Homosexualität verarbeitet hat. Da er sich ja erst spät öffentlich geoutet hat – zeitgleich mit der TV-Ausstrahlung der Jack-Outing-Folge in Staffel 2 – kann man davon ausgehen, dass dem DC-Schöpfer diese Problematik nur allzu vertraut ist.
Und auch im Haushalt Potter wird ein gesellschaftspolitisches Thema angepackt. Bodie und Bessie streiten sich über ihr ungeborenes Baby, das scheinbarein Junge werden wird. Bodie, der offensichtlich jüdischen Glaubens ist, will den Kleinen beschneiden lassen. Doch Bessie ist entschieden dagegen und setzt dieses religiöse Ritual als Verstümmelung und Menschenrechtsverletzung herab. Glücklicherweise wird die Auseinandersetzung der werdenden Eltern nicht allzu sehr problematisiert, sondern auf unterhaltsame Weise erzählt. Schon witzig, wenn Bodie seine Worte mit der Guillotinen-Gestik unterstreicht: „Der Junge – hfffft – wird beschnitten.“ Tja, Bodie hat scheinbar noch nicht begriffen, dass schwangere Frauen immer das letzte Wort haben.
Pacey und Doug verschlägt es bei ihrer Mission zum Haus von Tamara. Der hilfreiche Polizist Doug hilft, das Haus sturmsicher zu machen. Mit der Anwesenheit des „Außenstehenden“ Doug wird eine Situation eingeleitet, in der sich Pacey und Tamara zurückhalten müssen. Die folgenden Szenen erschließen sich also häufig erst aus dem Subtext. Zuerst nutzt Doug aber die Gelegenheit, die Sticheleien seines kleinen Bruders mit gleicher Münze heimzuzahlen. Doug bezeichnet Pacey als Idiot. So wird erstmals durch ein anderes Mitglied der Familie Witter auf die Ursachen für Paceys Minderwertigkeitskomplexe und sein Versagertum hingewiesen. Tamara gerät unbeabsichtigt zwischen die Fronten des schwelenden Bruderzwists und sieht sich gezwungen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
Mitch holt Grams und Jen ins Leery-Haus. Dadurch ergibt sich für Jen die Gelegenheit, die noch ungelösten Konflikte aus #104 mit Dawson ins Reine zu bringen. Als sie ihren Freund auf der Veranda mit seiner Kühlheit konfrontiert, bleibt dieser weiter distanziert. Vielleicht sollte man an dieser Stelle einmal auf den Spruch „Willst du darüber reden?“ hinweisen. Dieser Spruch ist vermutlich der am öftesten ausgesprochene in der psychotherapeutich durchsetzen Welt von DC. However: Das zwiegespaltene Verhältnis zwischen Dawson und Jen fiebert nun seiner Klärung entgegen. Grams trifft indessen mit Bessie und Bodie zusammen. Grams unfreundliche Art gegenüber dem gemischtrassigen Pärchen bringt das nächste politische Thema auf den Tisch: mangelnde Toleranz gegenüber Minderheiten oder konkreter: Rassismus. Nachdem auch für diesen Subplot die Konfrontationsursache definiert wurde, nähern wir uns dem ersten Plot Point an.
Gale telefoniert, ungeachtet der Tatsache, dass sie nicht allein ist, mit ihrem Lover Bob, der die Ehre hat, vor Ort im Außendienst über den Hurricane zu berichten. Die Kamera schwenkt nach rechts und wir sehen im Spiegel, dass Dawson oben am Treppenabsatz steht und seine Mutter mit grimmiger Miene belauscht. Die Kamera schwenkt zurück und Dawson tritt von links in Bild. Dieser Wechsel von rechts nach links sorgt in dieser Situation für Irritation und macht die Szene zusätzlich aufgewühlter. Denn was Dawson seiner Mutter nun am Ende des ersten Aktes vorwirft, ist ziemlich heavy. Allein schon die Positionierung der Darsteller verteilt hier die klare Zuordnung von Dominanzen. Dawson steht hoch über Gale, ist ihr hier also (moralisch) weit überlegen. Nach dem Schnitt auf den Close-Up von Gale in der Aufsicht ist erstmal Schwarzblende, Ende Akt eins, Werbepause angesagt. Die Szene zwischen Mutter und Sohn wird gleich darauf nahtlos fortgesetzt. Es ist zwar ein wenig verwirrend, dass Dawson vom Treppenhaus kommt, Gale aber aus einem Zimmer – aber egal. Gale muss nun so schnell wie möglich eine Erklärung finden, um ihren aufgebrachten Sohn, der sie zuvor nicht nur als Ehebrecherin, sondern sogar als Hure bezeichnet hat, wieder zu beruhigen. Natürlich empfindet Dawson ihr Liebesgeständnis an Mitch in Anbetracht der Geschehnisse heuchlerisch und verlogen. Dawson will aber gar nicht die „komplexe Psyche einer Ehebrecherin“ verstehen. Er will nicht, dass sie ihm ihre Gründe beichtet, er will, dass sie das einzig Richtige tut und es Mitch gesteht. Die Spannung verdichtet sich nun und wir nähern uns dem dramatischen Höhepunkt.
In Dawsons Zimmer lässt Dawson seinen ganzen Unmut über seine Mutter an Jen aus. Als Jen versucht, einen objektiven Standpunkt einzunehmen, liefert sie eine weitere Angriffsfläche für Dawsons aufgestaute Wut gegenüber weiblicher Promiskuität. Er verletzt Jen zutiefst, als er sie durch sein Schwarz-Weiß-Denken in punkto wechselnde Geschlechtspartner ebenfalls in die Nähe einer Hure rückt. Jen kontert, indem sie ihm sein oberflächliches Spielberg-Evangelium vorhält. Nachdem sie stinksauer abgerauscht ist, macht Joey im Wandschrank auf sich aufmerksam. Man beachte, dass neben Joey ein Schild mit der Aufschrift „U.S.S. Indianapolis“ steht. Das ist der Name des Kriegsschiffes, das im zweiten Weltkrieg die Atombombe für Hiroshima an den pazifischen Kriegschauplatz auslieferte. Und das auf der Rückfahrt von einem japanischen Torpedo versenkt wurde, woraufhin die Besatzung ins Wasser gehen musste, um auf ihre Rettung zu warten. Was anschließend mit Großteilen der Besatzung geschah, erfahren wir in Robert Shaws großartigen Monolog in DER WEISSE HAI. Neben dem Schild befindet sich eine Holzplanke, auf der „ORCA“ steht. Das ist der Name des Schiffes, mit dem Quint, Brody und Hooper auf Haijagd gehen. Hier wird also wieder der erfolgreiche Fischfilm zitiert, und darüberhinaus noch im Wandschrank, womit auf die Schlussszene verwiesen wird. Joey spricht es ganz explizit an. Früher haben sie und Dawson im Schrank den WEISSEN HAI nachgespielt. Der Wandschrank wird dadurch mit einer „unschuldigen“ und sorglosen Bedeutung aufgeladen. Während draußen in der Welt alles Kopf steht, herrscht drinnen die Unbefangenheit der Kindheit. Deshalb will sich Joey kurzfristig dorhin zurückziehen und die Probleme der echten Welt vorübergehend vergessen. Doch Dawson weigert sich, mitzuspielen. Denn derartige Spielchen stehen auf der „zu-alt-Liste“. Eine Liste, die ja eigentlich von Joey eingeführt wurde. Joey zeigt durch ihren Vorschlag jedoch, welch guter Freund sie noch immer und vor allem in krisengeschüttelten Zeiten ist. Sie will nichts anderes, als ihrem langjährigen Kumpel helfen, damit dieser besser mit seinem Trübsal zurechtkommt. Dawsons hartnäckiges Sträuben gegen Joeys Liebenswürdigkeit führt schließlich dazu, dass sie seine Situation mit einer noch wesentlich schlimmeren – nämlich der ihren – vergleicht: „Statt dich zu fragen, warum deine Mutter diese furchtbaren Dinge tut, würde ich vorschlagen, dass du auf die Knie fällst und Gott dankst, dass du eine Mutter hast.“ Diese von Katie Holmes sehr ergreifend gespielte Szene musste irgendwann einmal kommen. Kevin Williamson und Paul Stupin wollten die „tote-Mutter-Karte“, wie sie von den Machern ironisch bezeichnet wird, jedoch nur sehr gewählt und dosiert einsetzen. Ein inflationärer Gebrauch von Joeys Trauer über ihre tote Mutter hätte sonst die emotionale Wirkung geschmälert. An dieser Stelle wurde jedoch ein geeigneter Zeitpunkt gefunden.
Während Bob in den Nachrichten darüber berichtet, wie sich der Hurricane entwickelt, versuchen die Gäste im Leery-Haus die Zeit totzuschlagen. Bodie führt mit Grams ein Fachgespräch über Kochrezepte, doch diese bleibt dem farbigen Koch gegenüber besserwisserisch und unnahbar. Bessie bemüht sich derweil, die Wogen zu glätten und die Form zu wahren. Joey erhöht indessen den Druck auf Gale, als sie zu Mitch sagt „Ich würde mir um Bob keine Sorgen machen“. Gale muss nun endlich all ihren Mut zusammenreißen. Da schon so viele von ihrer Liaison mit dem Anchorman wissen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihr Mann davon erfährt. Da ist es das Beste, wenn er es von ihr selbst erfährt. In der anschließenden Situation, als Gale mit Joey auf den Treppen zusammensitzt, holt sie schließlich tief Luft für dieses Vorhaben. „Ich bin erwachsen, ich sollte ein Vorbild abgeben.“ Selbst bei Angehörigen der älteren Generation gibt es noch immer Schwierigkeiten mit dem Erwachsen-Werden. Ein Prozess, der nicht einfach vorüber ist, wenn man 18, 21 oder 30 Jahre alt ist, sondern ein langwieriger, gleitender Prozess, der – wie im Falle Gale – viel mit Verantwortungsbewusstsein und Integrität zu tun hat.
Pacey und Doug leisten indessen Tamara Gesellschaft. So als wollte es Doug seinem Bruder beweisen, dass er auch auf Frauen eine Ausstrahlung besitzt, beginnt er einen vorsichtigen Flirt. Tamara bleibt freundlich, wird durch Dougs Uniform jedoch immer wieder an ihre „Straftat“ erinnert. Pacey, der das alles lockerer sieht, wagt einen Annäherungsversuch, während Doug kurz rausgeht. Es ist der Reiz des Verbotenen, der ihn antörnt. Nachdem er Tamara – wie diese möglicherweise bereits ahnte – mitteilt, dass Doug schwul ist, geht er in die Offensive und küsst seine Lehrerin. Als die beiden einen kleinen „Unfall“ haben und auf dem Boden landen, platzt natürlich Doug rein. Peinlich, peinlich.
Schließlich kommt es zum großen dramatischen Höhepunkt. Gale beichtet Mitch ihre Untreue. Die deutschen Synchronstimmen können dem Original nicht im Entferntesten das Wasser reichen. Wenn man hört, wie sich Mary-Margaret Humes in der Original-Fassung windet, wie sie innerlich unter Strom steht, atemlos ihre Sätze hervorpresst, die Stimme dabei versagt und sie kein einziges Mal zwinkert - dann wirkt diese Szene noch wesentlich intensiver. John Wesley Shipp tritt kollegial zurück und gibt seiner Schauspielpartnerin allen Raum, den sie benötigt. Die Aufgekratztheit und die Widersprüchlichkeit der Gefühle werden durch den Dialog, der sich langsam von Gales beruflicher Stagnation aufbaut, enorm verstärkt. Als sie schließlich auf den Punkt kommt, wird die Kamera verkantet. Das schiefe Bild wäre eigentlich gar nicht notwendig gewesen, um den Horror dieser familiären Krise zu unterstreichen. Die Reaktion von Mitch, die zuerst eigentlich eine Nicht-Reaktion ist, vermittelt den Schock allein schon eindringlich genug. Mitch ist traumatisiert, er kann den Schmerz noch nicht fassen. An dieser Stelle fällt etwas theatralisch das Licht aus – auch dieser Effekt wäre nicht nötig gewesen. Der Regisseur hätte voll auf die brillante Leistung seiner Darsteller vertrauen können. Nach dem Commercial Break reicht Mary-Margaret Humes das Zepter an John Wesley Shipp weiter. Mitch kann sich noch einen Augenblick zusammenreißen. Er schickt Dawson aus dem Raum und sucht in einer Übersprunghandlung verzweifelt nach etwas völlig Banalem, nach Batterien. Schließlich bricht der Schmerz voll aus. Mitch wird laut, aggressiv, stößt Gale von sich, fegt seine Bastelarbeit vom Tisch und verwendet die Taschenlampe wie eine Waffe gegen Gale. Er strahlt direkt in ihr tränenüberströmtes Gesicht und herrscht sie an: „Hör auf zu heulen. Du hast keinen Grund zu heulen.“ Er kann den Anblick seiner Ehefrau nicht mehr ertragen und geht ab. Diese Szene ist (Melo-)Dramatik at its best. Die fundierten psychologischen Wechselwirkungen, die cleveren Dialoge und nicht zuletzt das hervorragende Schauspiel geben der Sequenz eine unglaubliche Kraft. Der Zuschauer kann sich dem kaum entziehen und wird förmlich mitgerissen. Man empfindet einen Hauch von Verständnis für Gale, die glücklicherweise nicht in die stereotype Ecke abgeschoben wird, kann aber auch den tiefen Schock von Mitch nachvollziehen. Für das Ehepaar Leery wird nun ein neues Kapitel aufgeschlagen, dass uns noch zweieinhalb Staffeln bis zu seiner Auflösung beschäftigen wird.
Nach dieser schweren Attacke aufs Gemüt folgt wieder ein wenig Entspannung durch Pacey, Doug und Tami. Die drei spielen das „Wenn-Spiel“, um sich ein wenig besser kennenzulernen. Doug folgt hier weiter seiner Strategie des Flirtens. Diese richtet sich – wie gesagt – eher an Pacey, denn an Tamara. Doug hat nicht wirklich ein romantisches Interesse an der attraktiven Mittdreißigerin, sondern will einfach nur, dass Pacey das glaubt. Unabhängig davon findet er die Lehrerin aber durchaus sympatisch und attraktiv. Pacey will seinen Bruder aus der Reserve locken, in dem er ihn nach seinem Lieblingspart im Musical fragt. Statt Dougs schwule Eigenschaften dadurch hervorzuheben, stößt er dabei aber auf eine gemeinsame Vorliebe, die Doug mit Tamara teilt.
Unterdessen bricht der Disput zwischen Grams und dem unverheirateten Paar Bodie und Bessie voll aus. Bodie fühlt sich sofort in seinem Status als Schwarzer angegriffen. Und das zurecht. Mrs Ryan, die wir bisher als verschrobene, konservative, ein wenig bigotte alte Dame kennengelernt haben, muss sich nun den Schuh eines von rassistischen Vorurteilen beladenen Menschen anziehen. Grams versucht dem zwar zu entgehen, indem sie sagt, dass es sie „am meisten stört, wenn Kinder Kinder bekommen“, aber diese Erklärung funktioniert nicht. Denn Bessie ist alles andere als ein Kind. Sie ist eine pflichtbewusste Frau, die seit langer Zeit die Ersatzmutterrolle für ihre kleine Schwester übernommen hat und einen eigenen Laden leitet. Außerdem liegt Capeside im Nordwesten der USA. In einem liberalen Landstrich, in dem die Bürgerrechte von Schwarzen längst etabliert sind. Ein gemischtrassiges Kind kann man deshalb wohl kaum als Außenseiter bezeichnen. Im repressiven Süden wäre die Situation vielleicht eine andere. Grams Einwände muss man also als politisch äußerst unkorrekt ansehen, was die gute alte Lady an dieser Stelle auch reichlich Sympathiepunkte kostet. Bessies Konter, dass ihr Kind zu 100 Prozent geliebt werden wird, ist ehrenvoll und notwendig. Und lässt Mrs Ryan ziemlich bedattelt dastehen.
Auf der Veranda kommt es zu einer versöhnlichen Situation zwischen Jen und Joey. Die beiden amüsieren sich über Dawson naives Weltbild und über seine „Größe“. Da sie sich beide Gedanken über sein Geschlechtsorgan gemacht haben, haben sie schließlich doch noch eine Gemeinsamkeit gefunden. Joey steht ihm aber immer noch näher: „Ich glaube, Dawson erlebt gerade einen entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben. – Wie wir alle.“ Das Objekt ihrer Begierde sammelt unterdessen die Rückstände vom Krach seiner Eltern auf. Im übertragenen Sinne die Scherben der Ehe von Mitch und Gale. Grams zeigt sich nun wieder von ihrer besten Seite. Was auch dringend nötig ist, wenn man sie nicht in der Zuschauergunst total verlieren will. Sie zeigt Verständnis für seine Hilflosigkeit und geht auf ihn ein, indem sie sich seinem Territorium – dem Kino – annähert. Ihre Vorliebe für Frank Capra-Filme bewegt sich wegen der thematischen Verwandtschaft, dem Optimismus und dem Hochhalten des Prinzips Hoffnung, auf der gleichen Ebene wie Dawsons Spielberg-Verehrung. In Filmen wie IST DAS LEBEN NICHT SCHÖN, Mr.SMITH GEHT NACH WASHINGTON oder DIE UNTEREN ZEHNTAUSEND „werden einfache Sehnsüchte erfüllt, Hoffnungen werden wahr“. Grams nimmt Dawsons Befindlichkeit auf und sagt, dass in diesen Filmen, „egal wie tief die Hauptfigur vom Sockel stürzt, sie immer eine zweite Chance erhält.“ Auch ihr Appell an die göttliche „Versöhnlichkeit, die Verständnis hervorbringt“, baut Dawson wieder auf. Denn immerhin wird ihm nun klar, dass es ums „Vergeben“ geht. So wie er Jen „vergeben“ muss, wird es Mitch bei Gale tun müssen, wenn sie ihre Beziehung retten wollen.
Pacey langweilt sich, da Doug und Tami sich weiterhin über ihre Lieblingsmusicals auslassen. Als Doug Tamara zu einem Date ausführen will, zieht diese aber die Handbremse an. Sie teilt ihm mit, dass sie weiß, dass er schwul ist. Weil sie in New York in der Christopher Street gelebt hat und deshalb viel Kontakt zu Schwulen hatte. Mit ihrem Verdacht stößt sie Doug vor den Kopf, da er sich ja die ganze Zeit über bemüht hatte, nicht schwul rüberzukommen. Sofort gibt er Pacey die Schuld. Er zieht seine Dienstpistole, legt auf seinen kleinen Bruder an und zwingt ihn zu sagen, dass er nicht schwul ist. Tamara reagiert wie der Zuschauer wohl auch. Das Ziehen einer tödlichen Waffe ist weit davon entfert, ein Spaß zu sein. Selbst wenn Pacey die Brisanz der Lage gleich wieder mildert, indem er verkündet, Doug tue das öfter, so ist doch immer noch eine Schusswaffe direkt auf seine Augen gerichtet. Diese Aktion geht natürlich viel zu weit. Doug hat zwar Probleme mit seiner Identität, aber diese bedrohliche Handlung hat eindeutig psychopathische Züge. Doug springt out ouf character, sein Tun kann beim besten Willen nicht mehr nachvollzogen werden. Hier sind die Autoren definitiv zu weit gegangen und haben den Bogen überspannt. Später wird Doug zwar immer wieder als der „böse große Bruder“ in Aktion treten, ein derartig überzogenes Psychoverhalten bleibt uns aber glücklicherweise in Zukunft erspart.
Nach diesem befremdlichen Aussetzer begeben wir uns wieder auf psychologisch glaubhaftes Terrain. Gale setzt sich zu Mitch in den Wagen. Mitch äußert seinen Verdacht, dass seine Frau mit Bob geschlafen hat. Auch diese Szene folgt wieder einem eklatanten Stimmungsumschwung. Anfangs erzählt Mitch davon, wie sie sich kennengelernt und ineinander verliebt haben: „Denn die Liebe kommt schnell. Sie ist wie eine Entscheidung, die man trifft.“ Er vermittelt Gale die Hoffnung, dass wieder alles ins Lot kommen könnte. Aber schließlich bricht er die versöhnliche Haltung und erklärt Gale, dass es vorüber ist. „Aber genauso schnell, wie ich mich damals vor 20 Jahren entschieden haben, dich zu lieben, nehme ich das wieder zurück. Ich will dich nicht mehr lieben. Ich werde dich jetzt lieber hassen.“ Die Entfremdung der beiden wird dadurch unterstützt, dass sie nicht von vorne oder der Seite, sondern von hinten über die Schulter gefilmt werden. Für Mitch ist eine Welt zusammengebrochen. Seine Reaktion ist unmittelbar, gnadenlos und wird sich sicher noch ändern. Jetzt aber scheint es so, als wäre das einst so starke Band zwischen beiden auf immer zerrissen. Seine energische Androhung, er würde sie notfalls gewaltsam aus dem Wagen entfernen, setzt dem Ganzen noch das i-Tüpfelchen auf. Mitch fährt im Regen davon, Gale sieht ihm weinend im Regen hinterher.
Der dritte Akt bringt wieder Sonnenschein. Doug verabschiedet sich von Tamara, die ihm zu verstehen gibt – sehr zu Paceys Freude – dass sie bereits mit jemanden zusammen ist. Pacey sagt anschließend, dass er sich in sie verliebt hat. Was als Aufhänger für ein kleines Stelldichein dient. Jen macht indessen reinen Tisch und erzählt Dawson detailiert von ihrer freizügigen Vergangenheit, was diesen schließlich eine Entschuldigung für seine Engstirnigkeit abverlangt. Süß, wie die beiden ihre zweite Chance mit dem Spruch „Klappe 2“ umschreiben.
Als Mitch am Morgen zurückkommt, wird die emotionale Klammer durch die Wiederaufnahme des Songs „Healing Hands“ gebildet. Mitch setzt sich – getrennt durch das Fliegengitter an der Veranda – zu Gale und hört sich ihre Erklärung an. Gale ist zwar noch davon entfernt, in die Wechseljahre zu kommen, sie steckt aber offensichtlich tief in der Midlife Crisis. Sie hat sich nach einem vollkommen ausgeglichenen und glücklichen Leben, das keine Aufregung mehr geboten hat, danach gesehnt, das Gefühl des Wollens wiederzufinden. Die Motivation für ihr Fremdgehen kann man durchaus verstehen. Es hatte primär nichts mit Sex zu tun, sondern mit ihrer Psyche. Mitch nimmt das gefasst auf, auf Entschuldigungen kann er aber verzichten. Er will nicht mehr reden, es wurde schon zuviel geredet. Trotz des Tiefpunkts, den die beiden erreicht haben, endet auch dieser Plot mit einem ambivalenten Gefühl der Hoffnung.
Da Dawson gerade fleißig dabei ist, sich zu entschuldigen, ist nach Jen nun auch Joey dran. Er nimmt ihr Angebot an und die beiden ziehen sich zurück, um sich im Wandschrank Zitate aus dem WEISSEN HAI um die Ohren zu hauen. Damit kommen sie Joeys Wunsch nach, dem „rapiden Erwachsenwerden Einhalt zu gebieten“ und sich vorübergehend noch einmal in die Unbeschwertheit ihrer Kindheit zu flüchten. Die Episode endet, wie sie begonnen hat: mit einem Requisit, dass an einen Spielberg-Film angelehnt ist.